Ein Jeep mit montiertem Lautsprecher auf dem Dach, 2000 Flyer und einige Mitarbeiter. Es ist der 1. Dezember – World AIDS Day. Wir machen uns auf den Weg nach Pollachi, ein Bezirk Coimbatores, in dem sich eines der neuen Projekte NMCTs befindet. Für diesen Tag besitzen wir die Erlaubnis der regionalen Regierung Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir fahren in einer Autokolonne durch die Straßen, vorne der Jeep, darin einer der Mitarbeiter, der über ein Mikrofon etwas über die Risiken HIVs erklärt, dahinter ein Kleinlaster mit Bildergeschichten und Schriftzügen plakatiert, wiederum dahinter wir im Auto unseres Directors. Im ersten Dorf halten wir an, bekommen Flyer in die Hand gedrückt und reihen uns neben den indischen Mitarbeitern ein, um diese zu verteilen. Die meisten können nur ein paar Wörter Englisch. Aber die gleiche Arbeit zu tun, das gleiche Ziel zu haben, gemeinsam an einem Strang zu ziehen – das verbindet. Während im Hintergrund über die Lautsprecher dröhnt, wie man sich mit HIV infizieren kann und welche Präventivmaßnahmen es gibt, stehen wir an der Straße, meist in Zweier- oder Dreierteams. Neugierig werden wir beäugt, wir laufen herum, drücken jedem die Broschüren in die Hand, die ebenfalls mit Schriftzügen und einer Bildergeschichte versehen sind. Die Analphabetenrate in Indien ist hoch, auch diese Menschen sollen die Möglichkeit haben aufgeklärt zu werden. Wir stehen am Straßenrand, halten die Flyer den vorbeifahrenden Mofafahrern hin, die es hier zu genüge gibt. Im Fahren werden die Broschüren entgegen genommen, wer sie wegen Geschwindigkeit oder zu viel Abstand nicht erwischt hält an, kommt zurück um doch noch eine zu erhalten. Wir verteilen die Aufklärungsflyer an vorbeilaufende Menschen, Autofahrer, den Mann in dem kleinen bis zum Rand vollgestopften Kiosk, die alte Frau, die vor ihrer Hütte sitzt und uns seit geraumer Zeit beobachtet, die drei jungen Männer, die gerade einige Bretter lackieren, eine Gruppe von Frauen, die über den sandigen Straßenrand entlangläuft, auf ihrem Kopf trägt jede einen großen Korb. Wir schmeißen Flyer in die Führerhäuser großer Lastwägen, kleine Menschentrauben bilden sich bereits um den Jeep. „Vanakkam!“, ein Lächeln, wieder ein weiterer Flyer in der Hand eines Menschen, der ihn interessiert studiert. Auf die Straße gehen, etwas tun, Menschen erreichen. Und das in Indien, das Land mit einer der höchsten HIV-Infektionen. Laut Studien sind hier 5,7 Millionen Menschen mit HIV infiziert – das sind zwei Drittel aller HIV-Infektionen in ganz Asien. Die Dunkelziffer ist gewiss noch höher. Uns beeindrucken die vielen Mitarbeitern, oft selbst von HIV betroffen, wir bewundern ihren Mut, Aufklärungsarbeit in Indien zu betreiben. Oft stößt man hier auf Ausgrenzung und Stigmatisierung HIV-Betroffener und auf wenig Verständnis für Menschen, die etwas dagegen zu unternehmen versuchen. Weit verbreitet sind Prostitution und ein zu geringes Wissen, wie man sich vor AIDS schützen kann.
Auf der einen Seite fühlt man sich bei dieser Arbeit nützlich. Aktiv werden, seinen Beitrag leisten und wirklich nahe am Geschehen dran sein. Es gibt einem das Gefühl, wirklich etwas gegen diese hohe HIV-Infektionsrate zu tun. Auf der anderen Seite kommt erst jetzt das bittere Bewusstsein, wie wenig die meisten über HIV wissen, wenn man in die erstaunten und teils ungläubigen Gesichter blickt, die den Flyer anstarren.
Unser Director bei der Ansprache |
Unser Director erklärt, dass sich im Laufe des Tages die Ersten über die Telefonnummer, die ebenfalls auf dem Zettel vermerkt ist, melden werden. Wir fahren ins Büro des Projekts, ans andere Ende des Telefons, dort wo die Anrufe entgegen genommen werden und den Menschen geraten wird, ihr Blut zu untersuchen. Dieser Tag ist der Anfang eines Prozesses, wieder kann mehr Menschen geholfen werden, wieder kann man mehr Unterstützung leisten. Schade nur, dass unsere NGO nicht öfter die Möglichkeit bekommt, Aufklärung in diesem Umfang zu leisten.
'What is this?' =D |
Es gibt noch eine Kleinigkeit, die der 1. Dezember mit sich bringt. Wir überlegen, wie wir unseren Mädchen vermitteln können, was die Adventszeit für uns bedeutet. In diesem Sinne fahren wir in die Stadt, die Townhall ist unser Ziel, ein Netzwerk von engen Gässchen, schmalen Straßen, das Herz Coimbatores, übersät mit kleinen Läden, die alles anbieten, was das Herz begehrt, Ohrringe, Taschen, Haarschmuck, Ketten, Bordüren für Kleidung und Bangles, indische Armreifen. Genau das richtige für unseren kleinen Adventskalender. Wir haben uns dafür entschieden für jedes Mädchen Bangles in der jeweiligen Lieblingsfarbe zu kaufen, die wir unauffällig in unserem Englischunterricht mit der Frage „What is your favourite colour?“ ausfindig gemacht haben. Wir entscheiden uns für einen Laden ziemlich am Anfang der Gasse mit einem freundlich aussehenden Verkäufer hinter dem Tresen und stellen fest, dass es gar nicht so einfach wird, da wir genaue Vorstellungen haben. Wir bestellen, Bangles in allen Farben und Größen, der Verkäufer sucht hinter seinem Tresen und vor uns bauen sich kleine bunte Türmchen aus Armreifen auf, hinter uns drängeln sich Leute vorbei und schauen neugierig. Eine gute Stunde und 180 bunt schillernde und glitzernde Bangles später haben wir es geschafft und sind glücklich - aber wohl nicht so glücklich wie der Verkäufer, der wohl das Geschäft seines Lebens gemacht hat. Unser Zimmer verwandelt sich in eine kleine Weihnachtswerkstatt, wir zählen ab, basteln, packen ein und freuen uns, dass wir es sogar geschafft haben richtiges Geschenkpapier in Coimbatore zu finden. Quer durch den 'Studyroom' spannen wir unsere kleine Überraschung. „Sister, what?“ rufen die ersten Mädchen aufgeregt und spätestens als wir erklären, was das ist, rennen die letzten zu dem Kalender und suchen ihren Namen und ihre Nummer. Nach kurzem Betasten der Päckchen weiß zwar jede, dass sich darin Armreifen befinden aber trotzdem ist es für alle jedes Mal wieder eine Freude abends zusammen zu sitzen, Jingle Bells zu singen und zu raten, welche Farbe die Armreifen denn heute haben könnten.
kleines Chaos beim Nähen :-) |
Nikolaus steht vor der Tür und auch hier haben wir uns eine Kleinigkeit überlegt. Mit einer großen Tasche gefüllt mit Kleiderresten, die wir vom Schneider bekommen haben, da er sie nicht mehr gebrauchen konnte, Nadeln, Faden und Scheren nähen wir an einem Samstagnachmittag mit unseren Kleinen Säckchen. Jeder darf sich den Stoff aussuchen und wir helfen, wo wir können, was aber meist gar nicht nötigt ist, da die Fingerfertigkeit ein wenig mehr gegeben ist als bei uns :-) Unsere Ältesten nähen zuerst, so dass sie danach den Kleineren helfen können und etwas von ihren Fähigkeiten weiter geben. Und so haben wir nach einigen Stunden und jeder Menge wie vom Erdboden verschluckten Nadeln 29 feinsäuberlich genähte Säckchen. Wir lassen die Mädchen in dem Glauben, dass die Säckchen für Spender sind, denn umso größer ist die Überraschung. Da man hier ja keine Stiefel trägt und sich Flipflops nicht sonderlich gut eignen für die eigentliche Nikolaustradition, werden wir etwas kreativ. Mit Schokolade, Erdnüssen und Bonbons befüllt verstecken wir die Säckchen mit Namen versehen am 6. Dezember auf dem Balkon und dem Schlafsaal im oberen Geschoss. Als wir die Treppe hinunter kommen, werden wir bereits gespannt umringt. Wir erinnern unsere Mädchen an die selbst genähten Säckchen und erklären, dass im Obergeschoss eine kleine Überraschung auf sie wartet und jedes Kind sein eigenes Säckchen suchen soll. Als wir die Tür öffnen, gibt es kein Halten mehr. Alle stürmen nach oben, schreien und glucksen vor Freude und Aufregung, suchen, finden, legen zurück, rennen herum – Es erinnert uns an Ostereier suchen aber uns gefällt diese Traditionsvermischung eigentlich ziemlich gut :-) Viele Freudenschreie folgen und alle zeigen stolz ihr Säckchen und den Inhalt. Gemeinsam sitzen wir in einem großen Kreis, essen Schokolade und erzählen die Nikolausgeschichte. Unsere Kleinen unterhalten sich, lachen, sind ganz unbekümmert und genießen es, einfach mal Spaß zu haben.
Damit ihr euch das ein bisschen besser vorstellen könnt, haben wir ein Video von diesem schönen Tag gedreht – Viel Spaß! :-)
Der Dezember ist übersät mit vielen kleinen schönen Momenten. Es ist Lamp Festival, der Geburtstag des Gottes Muruga. An diesem 3-tägigen Festival werden die Häuser und Tempel in Südindien traditioneller Weise zur Dämmerung mit Ölkerzen geschmückt. Einige hübsche Mandalas schmücken den Hof und den Eingang des Kinderheims. Nach einem hinduistischen Gebet dekorieren wir Balkon und Eingang mit vielen wunderschön leuchtenden Ölkerzen. Auch die Nachbarn stellen viele dieser Kerzen auf und vom Balkon aus blickt man über unser Dorf, das sich in ein kleines Lichtermeer verwandelt hat. Es ist ein stimmungsvolles Fest und erinnert uns an die Weihnachtszeit in Deutschland. Am dritten Tag strahlt das Abhaya Student's Shelter besonders hell im Schein der vielen kleinen Kerzen, die wir mit den Mädchen überall aufgestellt haben. Nun folgt für die Mädchen der aufregendste Teil – das Feuerwerk. Indische Feuerwerkskörper sind nicht gerade unsere besten Freunde, sie sind deutlich lauter als die deutschen und das Licht ist dreifach so hell. Trotzdem ist es ein sehr schöner Abend und wir sehen das Ganze einfach als eine Mischung zwischen friedlicher Adventszeit und krachender Silvesternacht :-).
Früh morgens machen wir uns auf den Weg zu einer Universität für Soziale Arbeit. Wir sind dort für eine Art Podiumsdiskussion mit indischen Studenten. Nach dem obligatorischenTee, der natürlich nicht fehlen darf, zeigt uns einer der Professoren das Universitätsgelände und stellt uns allen Lehrern bereits stolz als seine 'german friends' vor. Wir betreten den großen Raum, in dem schätzungsweise 100 Studenten sitzen, Männer und Frauen getrennt. Das Getuschel ist groß und nachdem wir die Menge auf Tamil begrüßt haben, wird erfreut gejubelt. Wir halten eine Präsentation über das deutsche Schulsystem, über Dauer und Intensität der Grundschule und der drei Zweige Hauptschule, Realschule und Gymnasium, danach gehen wir auf Lehrmethoden und Inhaltliches ein. An indischen Schulen ist das Auswendig lernen noch sehr weit verbreitet, was wir immer wieder bei unseren Mädchen mitbekommen. Abends sitzen sie über ihren Schulbüchern, lesen, sprechen sich die Sätze einige Male vor, buchstabieren, versuchen alles in ihren Kopf zu bekommen. Ab sieben Uhr ist meist ein gedämpftes Gemurmel aus 30 Stimmen zu entnehmen. Nach unserer Präsentation folgen viele Fragen, beispielsweise wie das Verhältnis zu den Lehrern in Deutschland ist, wie lange ein Schultag dauert, wie der Durchschnitt der Noten berechnet wird. Auch wir fragen viel und genießen es unter Menschen in unserem Alter zu sein. Ebenso besteht kulturelles Interesse, so dass wir am Ende die deutsche Nationalhymne ins Mikrofon trällern und auch die indischen Studenten ihre Nationalhymne singen. Danach sitzen wir noch mit einer kleineren Gruppe Studenten zusammen, essen mit ihnen zu Mittag und unterhalten uns auch über persönlichere Dinge. Gesprächsthemen sind Freizeitbeschäftigungen, Familie, Traditionen, Schule und Freundschaften. Sie erklären uns, dass Freundschaften zwischen Männern und Frauen nur sehr schwer möglich sind und man sich nicht alleine treffen kann. Auch ist die arrangierte Ehe in Indien immer noch üblich und für die Studenten auch zum größten Teil selbstverständlich. Mittlerweile hat sich das System etwas aufgelockert und sie dürfen Vorschläge machen, wen sie gerne heiraten würden. Die endgültige Entscheidung liegt aber bei den Eltern. Es ist schön einen Einblick in das Leben der indischen Jugend zu bekommen und die Gespräche sind sehr interessant. Auch wenn beide Seiten nicht alle Verhaltensweisen des Gegenübers nachvollziehen können, ist doch das Wichtigste gegeben: Toleranz. Die indischen Studenten erzählen uns, dass sie zwei Mädchen in Jeans und kurzem T-shirt erwartet haben, als sie von zwei deutschen Mädchen hörten. Dass wir in indischer Kleidung gekommen sind, wissen sie sehr zu schätzen. Anpassung. Das ist der Schlüssel, der uns hier immer wieder aufs Neue Türen öffnet.
Stiiihiiille Naaaaacht... |
Es ist Sonntag, der 18. Dezember und gleichzeitig 4. Advent. Und für uns ist heute Weihnachten. Da wir am eigentlichen Weihnachtstag in der Millionenstadt Bangalore sind, beschließen wir, mit unseren Kindern ein bisschen früher zu feiern. Gemeinsam schauen wir den Film Polarexpress, ein wunderbar kitschiger Weihnachtsfilm und genau das Richtige, um in Stimmung zu kommen. Schnee, Weihnachtsmann, Geschenke, vergnügt springen die Mädchen nach dem Film umher und sind voller Vorfreude auf das, was sie erwartet. Während aus dem Nebenzimmer aufgeregtes Getuschel dringt, schmücken wir den Raum mit Papiersternen und Kerzen. In die Mitte des Zimmers platzieren wir den kleinen über und über geschmückten Plastiktannenbaum, im Hintergrund schallt „Stille Nacht“ aus den Boxen des Laptops. Seetha bringt Kuchen und Getränke mit. Und Besuch aus Deutschland haben wir auch, Matthias, sein Bruder und dessen Freundin, die für drei Wochen Indien erkunden, nehmen ebenfalls an unserer kleinen „Christmas-function“ teil. Langsam schleichen sich die Kinder in das Zimmer, das nun feierlich im Kerzenlicht erstrahlt. Als alle im Kreis um den Baum sitzen, beginnen wir die Geschenke zu überreichen – Haarschmuck und Süßigkeiten. Die Freude ist groß und zwischen Wham's „Last Christmas“ hört man viele „Thank you, sister!“ - Rufe. Es ist ein gemütlicher Abend und ein bisschen Nostalgie überkommt uns. Und wir freuen uns, dass wir nicht nur für die Kinder einen schönen Abend bereiten konnten, sondern dass auch wir es geschafft haben, in Weihnachtsstimmung versetzt zu werden :-)
Wir hoffen, ihr hattet eine angenehme und besinnliche Weihnachtszeit und seid gut ins neue Jahr gerutscht!
Hallo Leni und Mona,
AntwortenLöschendas war ein toller Tagesabschluss heute abend wieder Euren Blog zu lesen. Ihr bring Euren "sisters" so viel Wertschätzung und Liebe entgegen, ich bin echt stolz auf Euch.
Ihr macht nach wie vor eine tolle Arbeit und seid wie schon vorher gesagt am richtigen Platz.
Liebe Grüße
Mamsn
Hey ihr Lieben, wunderschöner Blogeintrag. Ihr macht das wirklich toll und habt so viele kreative Ideen, echt schön.. Grüßt mal alle von uns und euch noch eine spannende Zeit,
AntwortenLöschenTamara
Sooooooooooooo schön,
AntwortenLöschenimmer wieder toll bei euch im Leben Zaungast zu sein!