Sonntag, 29. Januar 2012

Mangobäume, Schuluniformen und Frontalunterricht

2012. Etwas geht zu Ende, auf der anderen Seite beginnt etwas Neues. 2011 hat verändert, war prägend und hat uns viele beeindruckende Erlebnisse gegeben. Wir haben Abitur geschrieben, die Schule abgeschlossen und sind in eine neue Welt eingetaucht. Wir haben uns dafür entschieden nicht sofort an einer Universität zu studieren sondern stattdessen eine neue Kultur kennen zu lernen. Fern von dem bisher bekannten und uns so vertrauten Lebensstandard. Erkenntnisse, Begegnungen und Eindrücke, mit all dem hat uns Indien erwartet und auf ganz unerklärliche Weise in seinen Bann gezogen. Die Hälfte unseres Aufenthalts ist bereits vorbei und es erstaunt uns immer wieder, wie schnell die Zeit verfliegt, als wäre es eine andere Zeitrechnung in einer anderen Welt. Eine Welt, die voller Kontraste steckt, die uns beeindruckt, verwundert, erfreut und im nächsten Moment erschreckt, mitreißt und nicht zu selten komplett überwältigt. Wir freuen uns auf die nächsten Wochen, in denen uns sicherlich noch einmal genauso viel Erstaunliches, Faszinierendes und Außergewöhnliches begegnen wird.

DSCF3606Wir fahren in die Berge Coimbatores. Auf Gopanari, der Kokosnussfarm, wohnen für einige Tage Studenten für Soziale Arbeit, um das Leben der Ureinwohner besser kennen zu lernen. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zu dem naheliegenden Dorf. Es ist ruhig und die Stille ist eine willkommene Abwechslung zu dem sonst doch so lauten und chaotischem Indien. Im Dorf selbst sind kaum Bewohner, Männer und Frauen arbeiten auf den umliegenden Feldern oder treiben das Vieh umher, die Kinder sind den Vormittag in der Schule. Unser Weg führt durch das Dorf hindurch auf einen Feldweg. Einer der Studenten erklärt, dass wir heute eDSCF3608inige Bäume pflanzen werden. Die Dorfbewohner sind auf die Kultivierung verschiedenster Pflanzen und Früchte angewiesen und so unterstützen wir sie ein wenig durch unser Vorhaben. Die angeblich kurze Wanderung entwickelt sich zu einem fast zweistündigen Spaziergang durch das Bergland. Wir laufen vorbei an Bananenstauden, passieren einen kleinen Fluss und stapfen durch hohes Gebüsch. Es ist die pure Natur und ein wunderschöner Ausblick erstreckt sich vor unseren Augen. Ganz nebenbei erzählt man uns, dass in dem hohen Gras häufig Schlangen leben könnten und wir laufen den Rest des Weges doch etwas vorsichtiger als vorher, jeder von uns mit einem kleinen Bäumchen in der Hand. An einem kleinen bewachsenen Feld beginnen wir mit dem Pflanzen. Loch buddeln, Baum hineinsetzen, das Loch wieder mit Erde verschließen, bewässern. Obwohl es nur eine kurze Prozession ist, ist es irgendwie doch ein schönes Gefühl einen kleinen Mangobaum gepflanzt zu haben, der in drei bis vier Jahren Früchte tragen SAM_2245wird. :-) Auf dem Rückweg halten wir an einem kleinen Bauernhäuschen an. Ein schmaler ordentlich angelegter Steinweg führt zu einem kleinen niedrigen Haus, dessen Strohdach reicht über eine Terrasse, auf der man gemütlich sitzen kann. Um sich dorthin zu setzen, muss man sich bücken und auch in das Innere des Hauses gelangt man nur, wenn man den Kopf einzieht. Links neben dem Haus erstreckt sich ein Feld von Bananenstauden, davor ist ein kleiner Garten mit vielen bunt blühenden Blumen. Ein Brunnen dient zur Bewässerung, ein großer Baum sorgt für Schatten. Idylle. Ganz fasziniert von diesem kleinen schönen Fleckchen Erde setzen wir uns zu den Menschen, die dort arbeiten. Es ist ein Bauer mit seiner Frau und dessen Schwester. Sofort bietet man uns Tee an und mithilfe der SAM_2249Studenten können wir uns ein wenig mit ihnen unterhalten. Der Bauer erzählt, dass oft Elefanten in diesem Gebiet seien, vor allem nach sechs Uhr abends, wenn es dunkel werde. Wohnen könne man hier deshalb nicht, es sei zu gefährlich. Aber tagsüber komme er zum Arbeiten her. Manchmal finde er Elefantenspuren auf dem Bananenfeld und vor kurzem habe ein Elefant sogar drei Stauden aus der Erde gerissen und mitgenommen. Wir sitzen dort bei 35 ° C auf der Strohmatte, die man uns gegeben hat, unter dem Vordach des Bauernhäuschens und sind irgendwie in einer ganz anderen Welt. Wir genießen die Zeit in dieser naturbelassenen Umgebung sehr. Die indischen Studenten haben es offensichtlich eiliger als wir und deswegen machen auch wir uns auf den Weg und verabschieden uns. Nachdem wir unter dem um das Haus gespannten Draht, der die wilden Elefanten abhalten soll, hindurch geklettert sind, laufen wir wieder zurück in das Dorf der Ureinwohner.

 

DSCF3543Unsere 29 Mädchen gehen insgesamt auf fünf verschiedene Schulen. Die Kleinsten besuchen die im Dorf liegende Grundschule, die Mädchen von der 6. bis zur 8. Klasse besuchen die weiterführende Schule, die ebenfalls im Dorf ist. Nach dem Frühstück um halb neun begleiten wir sie täglich zur Schule, jede von uns zwei Mädchen an der Hand. Bis jetzt haben wir die beiden Schulen in unserem kleinen beschaulichen Dorf Kalappanaickenpalayam nur von außen gesehen, es interessiert uns aber sehr, wie ein indischer Schultag abläuft. Also führt unser Weg eines Tages in die GrDSCF3545undschule, auf die vier Kinder des Abhaya Students Shelters gehen. Wir erklären kurz, dass wir gerne in jede Klasse hineinschauen würden, um einen Gesamtüberblick zu bekommen. Insgesamt gibt es zwei Schulgebäude, in dem ersten befinden sich unten zwei Räume, im Obergeschoss weitere zwei. Wir betreten den ersten Raum, 1. und 2. Klasse wurden zusammen gefasst, viele erstaunte Augenpaare schauen uns an, alle Kinder tragen ihre kleine Schuluniform, die Mädchen eine weiße Bluse, einen blauen Rock und fein säuberlich geflochtene Zöpfe, die Jungs tragen ein weißes Hemd und eine blaue oder olivgrüne Hose.

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Sie sitzen in Gruppen auf Strohmatten auf dem Boden. An zwei Wänden des Klassenraums sind große Tafeln montiert, davor stehen Tische mit vielen mit Karten gefüllten Boxen, quer durch den Raum ist eine Schnur gespannt auf der gemalte Bilder aufgehängt wurden. Wir setzen uns zu den Kleinen, schauen uns ihre Aufgaben an, lassen uns auf Tamil Geschichten erzählen. Englisch wird eigentlich gar nicht gesprochen also wird das Ganze zu einem Englisch-Tamil-Zeichensprache-Mix und sorgt für viele kleine kichernde Kinder.

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In Indien wurde ein neues System eingeführt, dass sich „activity-based learning“ nennt. Die Kinder erarbeiten sich viel selbstständig, es gibt ein Kartensystem, dass sie in individuellem Tempo durcharbeiten können, alleine oder in Gruppen. Die Lehrkraft steht für Fragen zur Verfügung, hält sich aber hauptsächlich im Hintergrund. Auf den Karten lassen sich die unterschiedlichsten Dinge finden, Buchstaben, kleine Vokabellisten, Tierbilder, DSCF3571Kurzgeschichten, Fragen und Antworten. Neben Heften sind auch kleine Tafeln vorhanden, auf denen die Kleinen Schreiben üben. Die Kinder zeigen uns aufgeregt die Tierkarten und so sprechen wir uns abwechselnd den Tiernamen auf Tamil und auf Englisch vor. Sie lachen, wenn wir etwas falsch aussprechen und wir lachen mit, weil es sich aus unserem Mund wirklich sehr anders anhört :-). Nach einer halben Stunde verlassen wir trotz Protest der Kinder die Klasse und besuchen die nächste. Im Laufe des Vormittags besuchen wir vier Klassen, sehen Mathe, Tamil, Englisch und 'Science' – Unterricht, unterhalten uns mit den Lehrern über unsere und ihre Arbeit und über Indien, lesen mit den Kindern Geschichten und können uns mit den 3. und 4. - Klässlern sogar ein wenig auf Englisch unterhalten. Sie erzählen uns, was ihr Lieblingsfach ist, bringen uns Wörter auf Tamil bei, entschuldigen sich, dass sie leider nur 'small English' sprechen und erzählen, dass sie uns oft sehen, wenn wir mit unseren Mädchen zum Fahrrad fahren auf den Sandplatz außerhalb des Dorfes laufen. In der Pause werden wir umringt von Kindern, alle fassen unsere Hände, wollen uns ihre Freunde zeigen und ihr Lieblingsspiel mit uns spielen. Auch die Lehrer wollen unbedingt ein Foto mit den 'white girls' machen und wir merken mal wieder, dass es in Indien einfach nicht möglich ist unauffällig zu bleiben.

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Nach der Pause besuchen wir die 5. Klasse, die in Indien ebenfalls noch zur Grundschule gehört. Hier gibt es kein Kartensystem mehr, die Kinder sitzDSCF3591en an kleinen Schulbänken und als wir den Raum betreten, lernen sie gerade für das Englisch-Examen, dass sie am Nachmittag schreiben werden, das bedeutet, dass sie den Fragebogen, den sie in der Hand haben auswendig lernen, denn die gleichen Fragen werden in der Arbeit kommen. Im Gegensatz zum deutschen Schulsystem liegt der Schwerpunkt nicht auf Anwendungsaufgaben sondern eher auf dem Auswendig lernen.

Nach einem langen Vormittag verlassen wir die Schule unter viel Winken und die lauten „Aka Bye, Bye“ - Ruhe (Aka = große Schwester) schallen noch für einige Zeit über die sandige Hauptstraße unseres Dorfes.

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Auch der andere Schule im Dorf statten wir einen Besuch ab. Pünktlich zum Morgenappell sind auch wir auf dem sandigen Schulhof. Nach Klassen geordnet, Mädchen und Jungs getrennt, stehen die Kinder ordentlich aufgereiht in ihren blauen Schuluniformen auf dem Hof. Drei Jungs stehen vor der Gruppe, einer spricht etwas vor, es wird im Sprechchor nachgesprochen, mit der Hand vor der Brust, dem Land wird die Treue geschworen. Es erinnert uns ein wenig an einen militärischen Appell und wir wissen nicht so ganz, wie wir das Gefühl in diesem Moment einordnen sollen. Anschließend folgt ein Gebet. Einer der vorne stehenden Jungs liest laut etwas aus der Zeitung vor. Als ein Junge in den Reihen sich nicht ordentlich benimmt, geht eine der Lehrerinnen auf ihn zu und versetzt ihm einen festen Schlag auf den Rücken. Wir wussten, dass in indischen Schulen das Schlagen immer noch als Disziplinarmaßnahme angesehen wird, allerdings hätten wir nicht gedacht, dass wir so schnell damit konfrontiert werden. Es ist irgendwie ein Gefühl von Machtlosigkeit, dass uns an diesem Morgen auf dem Schulhof vor den ganzen Kindern überfällt. Machtlosigkeit gegenüber einem System, dass sehr stark von Obrigkeitsdenken und autoritären Strukturen bestimmt wird... DSCF3529DSCF3532

 

 

 

 

 

DSCF3692Nach einer Viertelstunde gehen die Kinder in ihre Klassen. Auch hier besuchen wir jede Klasse ungefähr zwanzig Minuten lang. Mädchen und Jungen sitzen getrennt auf ihren Schulbänken und bombardieren uns mit vielen Fragen, wir erklären ihnen deshalb erst mal wer wir sind und was wir machen. Die Klassenräume sind relativ bunt gestaltet, überall hängen Bilder und Plakate und es herrscht eigentlich eine freundliche Atmosphäre. Der Unterricht, an dem wir teilnehmen, besteht hauptsächlich aus Frontalunterricht. Die Kinder erzählen außerdem, dass es ein 'rank - system' gebe. Der Schüler oder die Schülerin mit der besten Noten ist auf dem ersten Platz, danach folgt der zweite, dritte, vierte, bis hin zum letzten Platz und so hat jeder in der Klasse seine eigene Stellung und alle wissen darüber Bescheid. Auch hier bekommen wir einen guten Einblick in die Art des Unterrichts, dürfen viele Fragen beantworten, was man in Deutschland so isst und was unser Lieblingsspiel ist, ob wir Indien mögen und wie lange wir hier bleiben. Zum Abschluss spielen wir mit jeder Klasse ein großes Gemeinschaftsspiel und so endet auch dieser Schultag.

Es gefällt uns einen Einblick in das Schulleben der Kinder zu bekommen, einerseits um einen Vergleich zu Deutschland zu ziehen, andererseits um auch an diesem Teil des Lebens unserer Mädchen teilzunehmen. Und unser Besuch scheint nicht nur für uns eindrucksvoll gewesen zu sein. Laufen wir jetzt durch unser Dorf, grüßen uns sämtliche Kinder und schreien fröhlich 'Lenaka, Monaka, hiiii, how are you'. :-)

 

DSCF3700Nach einem Wochenende, an dem wir die Nachmittage mit Basteln verbringen, besuchen wir die Schule der älteren Mädchen, die in die 9. und 10. Klasse gehen. Diese Schule liegt nicht mehr in unserem Dorf und wir fahren 20 Minuten mit dem Bus, vorbei an Feldern, Dörfern, Hütten, Ziegenscharen und gelangen schließlich in ein kleines Städtchen. Dort befindet sich eine 'Higher Secondary School' für die 9. bis 12. Klassen.

Wir betreten das riesige Schulgelände und begrüßen zuerst den Direktor. Eine Lehrerin führt uns durchs Schulgebäude. Sie erzählt, dass an dieser Schule 2300 Schüler seien, allerdings nur 45 Lehrer, was wir auch sofort bemerken, als wir den ersten Raum betreten, eine 9. Klasse. 62 Kinder sitzen in dem Raum, Mädchen und Jungs wieder einmal getrennt und auch die Schuluniformen kennen wir schon. Zu acht sitzen sie teilweise in einer Reihe, zum Schreiben ist nicht viel Platz.

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Fünf neunte Klassen sehen wir uns insgesamt an, um auch in jeder Klasse unserer Mädchen gewesen zu sein, alle mit ähnlich vielen Schülern. Tamil, Englisch, Mathe, Social Science und Science, die meisten Fächer decken wir mit unserem Besuch ab. Meistens wird etwas diktiert oder der Lehrer steht an der Tafel, die Schüler sprechen im Chor nach. Es wirkt alles sehr theoretisch, mündliche Noten, so wie wir es kennen, gibt es hier nicht, nur die schriftliche Leistung zählt. Wir sehen überfüllte Klassen, bei denen manche Kinder auf dem Boden sitzen, weil kein Platz mehr in den Schulbänken für sie ist. Es herrscht ein unruhiges Gemurmel und auch von draußen dringen jede Menge Geräusche durch die GitterfeDSCF3729nster, die man nicht schließen kann. Auch eine zehnte und eine zwölfte Klasse besuchen wir, hier herrscht ein ähnliches Bild. Die Lehrer sind bemüht für Ruhe zu sorgen und wir vermuten, dass sie auch nicht alle Namen können. Und während wir ebenfalls eingereiht zwischen den Schülern auf einer Schulbank sitzen, werden wir das Gefühl nicht los, dass man hier im Unterricht sehr untergehen kann.

 

Mit einem Gefühl von Dankbarkeit verlassen wir diese riesige Schule, wir sind dankbar für unsere Schulen in Deutschland und sind froh darüber, dass wir nie mehr als 30 Schüler in einer Klasse hatten, dass die Lehrer unsere Namen wussten und man irgendwie eine Beziehung zu ihnen hatte - egal ob mal besser oder mal schlechter.

Samstag, 21. Januar 2012

Weihnachten, Wettkämpfe und Wünsche

Bangalore, die drittgrößte Stadt Indiens, erwartet uns. Am 22. Dezember stehen wir mit vollen Rucksäcken im Bahnhof und sind froh über Seetha und Shankar, die uns zum richtigen Bahnsteig lotsen. Tamilische Durchsagen kommen knisternd aus dem Lautsprecher, diverse Gerüche steigen uns in die Nase und obwohl es schon spät am Abend ist, ist der Bahnsteig voller Menschen.
Mit etwas Verspätung rattert er ein, unser Zug. Wir verabschieden uns von den beiden und steigen ein. Ein enger Gang liegt vor uns, gesäumt von kleinen Abteilen, in denen sich 6 Schlafliegen befinden. In Indien gibt es drei verschiedene Zugabteile: in 2nd und 3rd AC ist eine Klimaanlage vorhanden, Decken, Laken sowie Kopfkissen werden gestellt, es gibt Vorhänge an den Schlafliegen. In der SleeperClass ist anstelle der Klimaanlage ein Ventilator angebracht und es sind keine Decken, Kissen, Laken oder Vorhänge vorhanden.
Die meisten Reisenden schlafen schon, die anderen versuchen sich an uns und unseren Rucksäcken vorbei zu drücken, während wir uns fragen, wie wir wohl auf unsere Liegen kommen. Gebucht haben wir die mittlere und oberste Liege. Unsere Rucksäcke wollen wir sicherheitshalber nah bei uns haben, also werden sie kurzerhand nach oben geworfen. Es gelingt uns, unsere Liegen zu erklimmen und daraus mit Laken, Schlafsäcken, Kissen und Rucksäcken Schlafstätten in der 3rd AC zu errichten. Nach einer kurzen Nacht klingelt der Wecker, dass wir unseren Ausstieg in Bangalore nicht verpassen.

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Wir steigen aus dem Zug. Es ist sehr früh am Morgen, aber das scheint niemanden hier zu stören. Es herrscht ein buntes Treiben am Bahnsteig, unzählige Gerüche steigen uns in die Nase und wir sind mittendrin im Geschehen. Wir lassen uns mit der Masse zum Ausgang treiben, wo wir sofort von unzähligen Rikshaw-Fahrern in Empfang genommen werden. Wir nennen die Adresse unseres Hotels und bekommen Preise geboten, denen keine Grenze nach oben gesetzt zu sein scheint. Etwas überrumpelt von dem hektischen Treiben am Bahnhof, der Lautstärke, die hier schon früh morgens herrscht, und den diskutierfreudigen Rikshaw-Fahrern lassen wir uns schließlich auf einen viel zu teuren Preis ein, wie wir später im Hotel erfahren, aber das entschuldigen wir einfach mit unserer Müdigkeit.
Die Mitarbeiter im Hotel sind ausgesprochen freundlich, es herrscht eine schöne Atmosphäre und wir fühlen uns wohl. Die Zimmer mit eigenem Bad sind schön und nach indischen Kriterien sauber und auch das Frühstück ist sehr lecker. :-)
Wir freuen uns riesig über das Wiedersehen mit Ronja und Johanna von REAL und Annik und Lena von JKS. Die erste Zeit verbringen wir auf dem Zimmer um uns auszutauschen, immerhin haben wir uns jetzt für eine längere Zeit nicht mehr gesehen und es gibt viel zu erzählen. Doch lange hält es uns nicht im Hotel. Wir wollen Bangalore entdecken. Ein kleiner negativer Aspekt unseres Hotels ist seine Lage etwas außerhalb der Innenstadt. Darüber freuen sich die Rikshaw-Fahrer vor unserem Hotel, doch wir sind etwas handelfreudiger geworden. Wir haben uns im Hotel über gerechte Preise informiert und lassen uns nicht mehr so einfach über den Tisch ziehen – meistens jedenfalls.

CIMG2314Bangalore ist bekannt für seine IT-Industrie. Rundherum hat sich ein großes, westlich geprägtes Konsumangebot mit Einkaufszentren, Kinos und Restaurants entwickelt, welches wir in diesen Tagen zur Genüge auskosten. Wir gehen ausgiebig shoppen auf der BrigadeRoad, der berühmten Shoppingmeile Bangalores, erkunden die DSCF3162kleinen Gässchen der ´Commercial Street´ und kehren ein – in meist westliche Restaurants. Es ist toll, auch kleidungstechnisch ein bisschen mehr Freiraum zu genießen. Und so kommt es, dass wir uns mit Jeans eindecken und beschließen, Weihnachten in eben diesen zu feiern, um uns ein wenig 'deutsch' zu fühlen :-).

Den Weihnachtsmorgen verbringen wir in einer großen ShoppingMall und gönnen uns ein fabelhaftes westliches Mittagsmenü, Lasagne und mit Schokoladensoße überzogene Waffeln. Unser eigentliches Weihnachtsfest findet im Lal Bagh, dem Botanischen Garten Bangalores, statt. Bangalore selbst wird auch als die „Gartenstadt“ bezeichnet, weil sie für eine indische Stadt erstaunlich viele Parkanlagen besitzt.
Wir suchen uns einen kleinen Baum aus, den wir mit Kerzen, gebasteltem Weihnachtsschmuck und einem indischen Weihnachtsstern schmücken. Wir sitzen bei unserem Weihnachtsbäumchen, singen deutsche Weihnachtslieder und ernten viele neugierige Blicke von den vorbeilaufenden Indern.
Doch das Beste kommt zum Schluss: die Bescherung. Wir haben uns fürs Wichteln entschieden, einmal mit schönen Weihnachtsgeschenken, einmal Schrottwichteln. Beglückt über die schönen Geschenke und mit so manchem Plunder in der Tasche machen wir uns auf den Weg, um den Weihnachtsabend gemütlich in einer Cocktailbar ausklingen zu lassen.
Ein etwas anderes, aber sehr schönes Weihnachten, das wir nicht so schnell vergessen werden!IMG_7354

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DSCF3254In Bangalore haben sich neben den Restaurants und Shopping Malls auch Pubs und Bars und ein vergleichsweise aktives – wenn auch nicht mit westlichen Verhältnissen vergleichbares - Nachtleben entwickelt, in dessen Genuss wir in den folgenden Tagen auch noch kommen.
Doch auch die kulturelle Seite unseres Aufenthalts darf nicht fehlen. Wir fahren zum Tipu Sultans-Palace, der außer seinem überteuerten Eintrittspreis nicht vielDSCF3246 zu bieten hat genauso wie das nahegelegene Ford. Vom Bangalore City Palace sind wir hingegen wirklich begeistert und das nicht nur, weil wir durch unsere Verhandlungskünste den indischen Eintrittspreis bezahlen. Bei Sehenswürdigkeiten ist es oft der Fall, dass unterschiedliche Eintrittspreise für Einheimische und Ausländer gelten, deren Spanne meistens weit auseinander liegt.
DSCF3252Im Eintrittspreis inbegriffen ist eine Audiotour im Palast, die sogar auf Deutsch angeboten wird. Wir lernen viel über die die Geschichte der Stadt und des Palastes und erfreuen uns an einem kulturellen Programm, das wirklich viel Spaß macht. :-)

Viel zu schnell vergeht die Zeit in Bangalore, der Abschied naht. Johanna und Ronja werden wir im Januar wiedersehen, wenn sie uns in unserem Projekt besuchen kommen. Annik und Lena treffen wir auf unserer Reise im März.IMG_7381
Wir machen uns auf zum Bahnhof und hoffen, dass alles gut geht, dieses Mal müssen wir unser Zugabteil alleine finden. Es ist schon dunkel und eigentlich ist es nicht üblich, als Frau nachts allein unterwegs zu sein, vor allem nicht als weiße Frau. Der Bahnhof scheint nie zu schlafen. Auch am späten Abend herrscht noch ein reges Treiben und wir finden viele hilfsbereite Menschen, durch die wir letztendlich zum richtigen Zugabteil finden. Dieses Mal verbringen wir unsere Nachtfahrt in der SleeperClass.

 

DSCF3273Früh am Morgen kommen wir am Bahnhof Coimbatores an. Mit der Rikshaw geht es nach Hause, ins Abhaya, wo wir noch mal in unsere Bettchen fallen. Doch an einen langen Schlaf ist nicht zu denken. Es muss noch geübt werden, am nächsten Tag fahren wir ins KKID zur 'Childrens Trophy'. Das Ganze ist ein Wettbewerb um die sogenannte 'Karl-Kübel-Trophy'. Verschiedene Gruppen von Kindern aus ganz Südindien haben sich angemeldet und müssen viele kleine Wettkämpfe bestreiten, um die Trophäe gewinnen zu können.

Auch unsere Mädchen sind mit von der Partie und haben sich für verschiedene Kategorien wie Sport, Kreativität, Tanz und Gesang begeistert. Fleißig wird geübt und die Freude steigt auf die zwei bevorstehenden Tage.

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Am Morgen des 30. Dezembers fahren wir mit einem Kleinbus in das nicht weit entfernte KKID, in dem wir bereits zwei Seminare mit den anderen Freiwilligen verbracht haben. Dort angekommen bekommt jedes Kind einen Wettbewerbsausweis. Wir beziehen unsere Zimmer und versammeln uns auf dem großen Hof, wo eine Ansprache und Begrüßungsrede die Wettkämpfe eröffnen.
Unsere Mädchen verteilen sich über das Gelände zu ihren jeweiligen Wettbewerbsorten.
Wir sind selbst als Jury an unterschiedlichen Stationen eingeteilt und es fällt nicht leicht, die Leistungen der Kinder zu beurteilen, jeder gibt sein Bestes.

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Im KKID treffen wir Anna und Johanna, ebenfalls Freiwillige der Karl-Kübel-Stiftung, die in Vikasana, einem Kinderheim im benachbarten Bundesstaat, leben. Es ist schön, sich austauschen zu können und die Menschen kennenzulernen, mit denen sie jeden Tag zusammenarbeiten.

 

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Nach zwei Tagen voller Wettkämpfe, Spiel und Spaß versammeln sich erneut alle im Hof um gespannt der Preisverleihung zu lauschen. Wir schneiden nicht schlecht ab, gewinnen 5 kleine Pokale und sind zufrieden mit dem Ergebnis, auch wenn es für die große 'Karl-Kübel-Trophy' nicht reicht.
Das ist aber nicht weiter schlimm, die Mädchen erwartet zu Hause eine eigene Trophäe, die 'Abhaya-Trophy', die von uns liebevoll gebastelt wurde. So gibt es noch eine ganz eigene, besondere Preisverleihung mit vielen klebrigen Schokobonbons.

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Es ist der 31.Dezember, Silvesterabend. Wir teilen weiße Blätter aus. Die Mädchen dürfen ihrer Kreativität freien Lauf lassen und ihre Wünsche für das neue Jahr in Form von Zeichnungen, Gedichten und Aufschrieben festhalten. Jede darf sich so viel Zeit nehmen, wie sie braucht und am Ende sammeln wir die nun farbenfrohen Blätter wieder ein, ohne dass sie jemand anderes zu Gesicht bekommt. Sicher verstaut liegen sie in Briefumschlägen in unserem Schrank und kommen erst bei unserem Abschied wieder zum Einsatz. Dann dürfen unsere Mädchen die kleinen Umschläge öffnen und nachsehen, welche von ihren Wünschen bereits in Erfüllung gegangen sind.
Wir möchten den Mädchen dadurch ein bisschen Privatsphäre ermöglichen, auf die in Indien meist nicht so viel Wert gelegt wird und die auch hier im Abhaya nicht sehr ausgeprägt ist, da alles auf sehr engem Raum stattfindet und kaum Rückzugsmöglichkeiten vorhanden sind.
DSCF3487Nach unserer kleinen Bastelaktion machen wir es uns gemütlich. Ice Age 2 flimmert über den Bildschirm und die Mädchen halten sich die Bäuche vor Lachen, wenn Sid, das kleine Faultier, seine Witze reißt.
Kurz vor Ende des Films schleichen wir uns in die Küche. Auf unsere Mädchen wartet noch eine kleine Überraschung – wir wollen ein deutsches Silvester-Dinner zaubern.
Wir machen Pfannkuchen mit Ahornsirup und Äpfeln. Zum Nachtisch gibt es Erdbeerpudding. Eine bunte Zusammensetzung.
Wir stehen in der Küche, bereiten Teig für über 30 Pfannkuchen vor und stellen fest, dass ein Schneebesen nicht zu unserer Kücheneinrichtung gehört. Genauso wenig eine Pfanne, eine Küchenwaage und ein Messbecher.
Nach über einer Stunde Teig zubereiten, Pfannkuchen auf dem Dosaiteller, eine Platte für die südindische Spezialität aus Reisteig, wenden und Pudding kochen können wir unser Dinner servieren und es scheint zu schmecken, was uns sehr freut, denn schließlich wurde alles mit Augenmaß abgemessen :-). Wir schauen in fröhliche Gesichter, die munter die Dinge auf ihrem Teller verspeisen. Und auch wir sind glücklich, über einen etwas anderen, aber sehr gemütlichen Silvesterabend und darüber, seitDSCF3494 4 Monaten wieder Pfannkuchen zu essen. :-)DSCF3498

 

 

 

 

 

Der Jahreswechsel wird in Indien nicht sonderlich groß gefeiert. Die Mädchen gehen wie an normalen Tagen um 22 Uhr schlafen und wir auf unser Zimmer. Wir haben eine Filmnacht für unser indisches Silvester geplant. Und so nimmt der Abend seinen Lauf. Kurz vor Mitternacht klettern wir auf das Flachdach des Abhayas, von wo man über das Dorf und die umliegende Gegend blicken kann. Pünktlich zum Jahresanfang sehen wir in der Ferne vereinzelt Feuerwerkskörper in den Himmel steigen, im Dorf bleibt es erstaunlich ruhig bis auf ein paar Jugendliche, die durchs Dorf ziehen und den wenigen Menschen, die sie treffen, ein frohes neues Jahr wünschen. Wir kehren zurück ins Zimmer und widmen uns erneut unseren Filmen.
So starten wir ruhiger als gewohnt, aber trotzdem erfolgreich ins neue Jahr. Und mit Dinner for One über Youtube fühlt sich das eigentlich ziemlich gut an. :-)

Alles Liebe, Mona und Lena

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Sonntag, 1. Januar 2012

Lichtermeere, Traditionen und HIV

 
Word Aids DayEin Jeep mit montiertem Lautsprecher auf dem Dach, 2000 Flyer und einige Mitarbeiter. Es ist der 1. Dezember – World AIDS Day. Wir machen uns auf den Weg nach Pollachi, ein Bezirk Coimbatores, in dem sich eines der neuen Projekte NMCTs befindet. Für diesen Tag besitzen wir die Erlaubnis der regionalen Regierung Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir fahren in einer Autokolonne durch die Straßen, vorne der Jeep, darin einer der Mitarbeiter, der über ein Mikrofon etwas über die Risiken HIVs erklärt, dahinter ein Kleinlaster mit Bildergeschichten und Schriftzügen plakatiert, wiederum dahinter wir im Auto unseres Directors. Im ersten Dorf halten wir an, bekommen Flyer in die Hand gedrückt und reihen uns neben den indischen Mitarbeitern ein, um diese zu verteilen. Die meisten können nur ein paar Wörter Englisch. Aber die gleiche Arbeit zu tun, das gleiche Ziel zu haben, gemeinsam an einem Strang zu ziehen – das verbindet. Während im Hintergrund über die Lautsprecher dröhnt, wie man sich mit HIV infizieren kann und welche Präventivmaßnahmen es gibt, stehen wir an der Straße,NMCT, Perur, Gov. 138 meist in Zweier- oder Dreierteams. Neugierig werden wir beäugt, wir laufen herum, drücken jedem die Broschüren in die Hand, die ebenfalls mit Schriftzügen und einer Bildergeschichte versehen sind. Die Analphabetenrate in Indien ist hoch, auch diese Menschen sollen die Möglichkeit haben aufgeklärt zu werden. Wir stehen am Straßenrand, halten die Flyer den vorbeifahrenden Mofafahrern hin, die es hier zu genüge gibt. Im Fahren werden die Broschüren entgegen genommen, wer sie wegen Geschwindigkeit oder zu viel Abstand nicht erwischt hält an, kommt zurück um doch noch eine zu erhalten. Wir verteilen die Aufklärungsflyer an vorbeilaufende Menschen, Autofahrer, den Mann in dem kleinen bis zum Rand vollgestopften Kiosk, die alte Frau, die vor ihrer Hütte sitzt und uns seit geraumer Zeit beobachtet, die drei jungen Männer, die gerade einige Bretter lackieren, eine Gruppe von Frauen, die über den sandigen Straßenrand entlangläuft, auf ihrem Kopf trägt jede einen großen Korb. NMCT, Perur, Gov. 142Wir schmeißen Flyer in die Führerhäuser großer Lastwägen, kleine Menschentrauben bilden sich bereits um den Jeep. „Vanakkam!“, ein Lächeln, wieder ein weiterer Flyer in der Hand eines Menschen, der ihn interessiert studiert. Auf die Straße gehen, etwas tun, Menschen erreichen. Und das in Indien, das Land mit einer der höchsten HIV-Infektionen. Laut Studien sind hier 5,7 Millionen Menschen mit HIV infiziert – das sind zwei Drittel aller HIV-Infektionen in ganz Asien. Die Dunkelziffer ist gewiss noch höher. Uns beeindrucken die vielen Mitarbeitern, oft selbst von HIV betroffen, wir bewundern ihren Mut, Aufklärungsarbeit in Indien zu betreiben. Oft stößt man hier auf Ausgrenzung und Stigmatisierung HIV-Betroffener und auf wenig Verständnis für Menschen, die etwas dagegen zu unternehmen versuchen. Weit verbreitet sind Prostitution und ein zu geringes Wissen, wie man sich vor AIDS schützen kann.
Auf der einen Seite fühlt man sich bei dieser Arbeit nützlich. Aktiv werden, seinen Beitrag leisten und wirklich nahe am Geschehen dran sein. Es gibt einem das Gefühl, wirklich etwas gegen diese hohe HIV-Infektionsrate zu tun. Auf der anderen Seite kommt erst jetzt das bittere Bewusstsein, wie wenig die meisten über HIV wissen, wenn man in die erstaunten und teils ungläubigen Gesichter blickt, die den Flyer anstarren.
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Unser Director bei der Ansprache
Unser Director erklärt, dass sich im Laufe des Tages die Ersten über die Telefonnummer, die ebenfalls auf dem Zettel vermerkt ist, melden werden. Wir fahren ins Büro des Projekts, ans andere Ende des Telefons, dort wo die Anrufe entgegen genommen werden und den Menschen geraten wird, ihr Blut zu untersuchen. Dieser Tag ist der Anfang eines Prozesses, wieder kann mehr Menschen geholfen werden, wieder kann man mehr Unterstützung leisten. Schade nur, dass unsere NGO nicht öfter die Möglichkeit bekommt, Aufklärung in diesem Umfang zu leisten. 




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'What is this?' =D
Es gibt noch eine Kleinigkeit, die der 1. Dezember mit sich bringt. Wir überlegen, wie wir unseren Mädchen vermitteln können, was die Adventszeit für uns bedeutet. In diesem Sinne fahren wir in die Stadt, die Townhall ist unser Ziel, ein Netzwerk von engen Gässchen, schmalen Straßen, das Herz Coimbatores, übersät mit kleinen Läden, die alles anbieten, was das Herz begehrt, Ohrringe, Taschen, Haarschmuck, Ketten, Bordüren für Kleidung und Bangles, indische Armreifen. Genau das richtige für unseren kleinen Adventskalender. Wir haben uns dafür entschieden für jedes Mädchen Bangles in der jeweiligen Lieblingsfarbe zu kaufen, die wir unauffällig in unserem Englischunterricht mit der Frage „What is your favourite colour?“ ausfindig gemacht haben. Wir entscheiden uns für einen Laden ziemlich am Anfang der Gasse mit einem freundlich aussehenden Verkäufer hinter dem Tresen und stellen fest, dass es gar nicht so einfach wird, da wir genaue Vorstellungen haben. Wir bestellen, Bangles in allen Farben und Größen, der Verkäufer sucht hinter seinem Tresen und vor uns bauen sich kleine bunte Türmchen aus Armreifen auf, hinter uns drängeln sich Leute vorbei und schauen neugierig. Eine gute Stunde und 180 bunt schillernde und glitzernde Bangles später haben wir es geschafft und sind glücklich - aber wohl nicht so glücklich wie der Verkäufer, der wohl das Geschäft seines Lebens gemacht hat. DSCF2793Unser Zimmer verwandelt sich in eine kleine Weihnachtswerkstatt, wir zählen ab, basteln, packen ein und freuen uns, dass wir es sogar geschafft haben richtiges Geschenkpapier in Coimbatore zu finden. Quer durch den 'Studyroom' spannen wir unsere kleine Überraschung. „Sister, what?“ rufen die ersten Mädchen aufgeregt und spätestens als wir erklären, was das ist, rennen die letzten zu dem Kalender und suchen ihren Namen und ihre Nummer. Nach kurzem Betasten der Päckchen weiß zwar jede, dass sich darin Armreifen befinden aber trotzdem ist es für alle jedes Mal wieder eine Freude abends zusammen zu sitzen, Jingle Bells zu singen und zu raten, welche Farbe die Armreifen denn heute haben könnten.
  

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kleines Chaos beim Nähen :-)
Nikolaus steht vor der Tür und auch hier haben wir uns eine Kleinigkeit überlegt. Mit einer großen Tasche gefüllt mit Kleiderresten, die wir vom Schneider bekommen haben, da er sie nicht mehr gebrauchen konnte, Nadeln, Faden und Scheren nähen wir an einem Samstagnachmittag mit unseren Kleinen Säckchen. Jeder darf sich den Stoff aussuchen und wir helfen, wo wir können, was aber meist gar nicht nötigt ist, da die Fingerfertigkeit ein wenig mehr gegeben ist als bei uns :-) DSCF2872Unsere Ältesten nähen zuerst, so dass sie danach den Kleineren helfen können und etwas von ihren Fähigkeiten weiter geben. Und so haben wir nach einigen Stunden und jeder Menge wie vom Erdboden verschluckten Nadeln 29 feinsäuberlich genähte Säckchen. Wir lassen die Mädchen in dem Glauben, dass die Säckchen für Spender sind, denn umso größer ist die Überraschung. Da man hier ja keine Stiefel trägt und sich Flipflops nicht sonderlich gut eignen für die eigentliche DSCF2884Nikolaustradition, werden wir etwas kreativ. Mit Schokolade, Erdnüssen und Bonbons befüllt verstecken wir die Säckchen mit Namen versehen am 6. Dezember auf dem Balkon und dem Schlafsaal im oberen Geschoss. Als wir die Treppe hinunter kommen, werden wir bereits gespannt umringt. Wir erinnern unsere Mädchen an die selbst genähten Säckchen und erklären, DSCF2886dass im Obergeschoss eine kleine Überraschung auf sie wartet und jedes Kind sein eigenes Säckchen suchen soll. Als wir die Tür öffnen, gibt es kein Halten mehr. Alle stürmen nach oben, schreien und glucksen vor Freude und Aufregung, suchen, finden, legen zurück, rennen herum – Es erinnert uns an Ostereier suchen aber uns gefällt diese Traditionsvermischung eigentlich ziemlich gut :-) Viele Freudenschreie folgen und alle zeigen stolz ihr Säckchen und den Inhalt. Gemeinsam sitzen wir in einem großen Kreis, essen Schokolade und erzählen die Nikolausgeschichte. Unsere Kleinen unterhalten sich, lachen, sind ganz unbekümmert und genießen es, einfach mal Spaß zu haben. DSCF2873
 
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Damit ihr euch das ein bisschen besser vorstellen könnt, haben wir ein Video von diesem schönen Tag gedreht – Viel Spaß! :-)
Happy Nikolaus Day!
 
 
DSCF2934Der Dezember ist übersät mit vielen kleinen schönen Momenten. Es ist Lamp Festival, der Geburtstag des Gottes Muruga. An diesem 3-tägigen Festival werden die Häuser und Tempel in Südindien traditioneller Weise zur Dämmerung mit Ölkerzen geschmückt. Einige hübsche Mandalas schmücken den Hof und den Eingang des Kinderheims. Nach einem hinduistischen Gebet dekorieren wir Balkon und Eingang mit vielen wunderschön leuchtenden Ölkerzen. Auch die Nachbarn stellen viele dieser Kerzen auf und vom Balkon aus blickt man über unser Dorf, das sich in ein kleines Lichtermeer verwandelt hat. Es ist ein stimmungsvolles Fest und erinnert uns an die Weihnachtszeit in DSCF2940Deutschland. Am dritten Tag strahlt das Abhaya Student's Shelter besonders hell im Schein der vielen kleinen Kerzen, die wir mit den Mädchen überall aufgestellt haben. Nun folgt für die Mädchen der aufregendste Teil – das Feuerwerk. Indische Feuerwerkskörper sind nicht gerade unsere besten Freunde, sie sind deutlich lauter als die deutschen und das Licht ist dreifach so hell. Trotzdem ist es ein sehr schöner Abend und wir sehen das Ganze einfach als eine Mischung zwischen friedlicher Adventszeit und krachender Silvesternacht :-).


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Früh morgens machen wir uns auf den Weg zu einer Universität für Soziale Arbeit. Wir sind dort für eine Art Podiumsdiskussion mit indischen Studenten. Nach dem obligatorischenTee, der natürlich nicht fehlen darf, zeigt uns einer der Professoren das Universitätsgelände und stellt uns allen Lehrern bereits stolz als seine 'german friends' vor. Wir betreten den großen Raum, in dem schätzungsweise 100 Studenten sitzen, Männer und Frauen getrennt. Das Getuschel ist groß und nachdem wir die Menge auf Tamil begrüßt haben, wird erfreut gejubelt. Wir halten eine Präsentation über das deutsche Schulsystem, über Dauer und Intensität der Grundschule und der drei Zweige Hauptschule, Realschule und Gymnasium, danach gehen wir auf Lehrmethoden und Inhaltliches ein. An indischen Schulen ist das Auswendig lernen noch sehr weit verbreitet, was wir immer wieder bei unseren Mädchen mitbekommen. Abends sitzen sie über ihren Schulbüchern, lesen, sprechen sich die Sätze einige Male vor, buchstabieren, versuchen alles in ihren Kopf zu bekommen. Ab sieben Uhr ist meist ein gedämpftes Gemurmel aus 30 Stimmen zu entnehmen. Nach unserer Präsentation folgen viele Fragen, beispielsweise wie das Verhältnis zu den Lehrern in Deutschland ist, wie lange ein Schultag dauert, wie der Durchschnitt der Noten berechnet wird. Auch wir fragen viel und genießen es unter Menschen in unserem Alter zu sein. Ebenso besteht kulturelles Interesse, so dass wir am Ende die deutsche Nationalhymne ins Mikrofon trällern und auch die indischen Studenten ihre Nationalhymne singen. Danach sitzen wir noch mit einer kleineren Gruppe Studenten zusammen, essen mit ihnen zu Mittag und unterhalten uns auch über persönlichere Dinge. Gesprächsthemen sind Freizeitbeschäftigungen, Familie, Traditionen, Schule und Freundschaften. Sie erklären uns, dass Freundschaften zwischen Männern und Frauen nur sehr schwer möglich sind und man sich nicht alleine treffen kann. Auch ist die arrangierte Ehe in Indien immer noch üblich und für die Studenten auch zum größten Teil selbstverständlich. Mittlerweile hat sich das System etwas aufgelockert und sie dürfen Vorschläge machen, wen sie gerne heiraten würden. Die endgültige Entscheidung liegt aber bei den Eltern. Es ist schön einen Einblick in das Leben der indischen Jugend zu bekommen und die Gespräche sind sehr interessant. Auch wenn beide Seiten nicht alle Verhaltensweisen des Gegenübers nachvollziehen können, ist doch das Wichtigste gegeben: Toleranz. Die indischen Studenten erzählen uns, dass sie zwei Mädchen in Jeans und kurzem T-shirt erwartet haben, als sie von zwei deutschen Mädchen hörten. Dass wir in indischer Kleidung gekommen sind, wissen sie sehr zu schätzen. Anpassung. Das ist der Schlüssel, der uns hier immer wieder aufs Neue Türen öffnet. 


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Stiiihiiille Naaaaacht...
Es ist Sonntag, der 18. Dezember und gleichzeitig 4. Advent. Und für uns ist heute Weihnachten. Da wir am eigentlichen Weihnachtstag in der Millionenstadt Bangalore sind, beschließen wir, mit unseren Kindern ein bisschen früher zu feiern. Gemeinsam schauen wir den Film Polarexpress, ein wunderbar kitschiger Weihnachtsfilm und genau das Richtige, um in Stimmung zu kommen. Schnee, Weihnachtsmann, Geschenke, vergnügt springen die Mädchen nach dem Film umher und sind voller Vorfreude auf das, was sie erwartet. Während aus dem Nebenzimmer aufgeregtes Getuschel dringt, schmücken wir den Raum mit Papiersternen und Kerzen. In die Mitte des Zimmers platzieren wir den kleinen über und über geschmückten Plastiktannenbaum, im Hintergrund schallt „Stille Nacht“ aus den Boxen des Laptops. Seetha bringt Kuchen und Getränke mit. IMG_6026Und Besuch aus Deutschland haben wir auch, Matthias, sein Bruder und dessen Freundin, die für drei Wochen Indien erkunden, nehmen ebenfalls an unserer kleinen „Christmas-function“ teil. Langsam schleichen sich die Kinder in das Zimmer, das nun feierlich im Kerzenlicht erstrahlt. Als alle im Kreis um den Baum sitzen, beginnen wir die Geschenke zu überreichen – Haarschmuck und Süßigkeiten. Die Freude ist groß und zwischen Wham's „Last Christmas“ hört man viele „Thank you, sister!“ - Rufe. Es ist ein gemütlicher Abend und ein bisschen Nostalgie überkommt uns. Und wir freuen uns, dass wir nicht nur für die Kinder einen schönen Abend bereiten konnten, sondern dass auch wir es geschafft haben, in Weihnachtsstimmung versetzt zu werden :-)
IMG_6032Wir hoffen, ihr hattet eine angenehme und besinnliche Weihnachtszeit und seid gut ins neue Jahr gerutscht!
♥-liche Grüße und viel Sonne senden euch Mona und Lena
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