Trotz Abschiedsstimmung ist es der Tag, den wir uns so lang ersehnt haben, es ist ein Gemisch aus Neugierde, Freude und auch ein bisschen Angst, schließlich wollen wir nichts falsch machen und der altbekannte Spruch: „Der erste Eindruck zählt“ liegt uns in den Ohren. Seit unser Ankunft in Indien ist es nicht einfach, alle Gefühle einzuordnen, die einen von morgens bis abends beschäftigen. Unser Director holt uns aus dem KKID ab, einen großen Jeep fährt er, wir laden unser Gepäck ein. Ein stummes Lächeln folgt, weil es - wie immer wenn man wegfährt - doch wieder sehr viel geworden ist. Dann das Verabschieden von den anderen Mädchen. Es fällt uns schwer, da wir eine sehr harmonische Gruppe geworden sind, aber wir helfen uns mit dem Gedanken, dass wir uns im November auf unserem Zwischenseminar wieder sehen. Und wieder ein Aufbruch in etwas Unbekanntes, Neues...
Nach ein paar Tränen und vielen Umarmungen fahren wir los und halten 20 Minuten später vor einem rosa Gebäude mit rosa Eingangstor, einstöckig, mit begehbarem Dach, auf dem man abends den Sonnenuntergang beobachten kann. Ein Schild mit der Aufschrift „Abhaya Students Shelter“ schmückt die Fassade, das ist also unser neues Zuhause für 7 Monate. Glücklich kommen wir an, hören Kinderlachen und die ersten Mädchen grinsen uns schüchtern an, wir lächeln zurück. Es ist wirklich ein kitschig-schöner Moment, der sofort ein Willkommensgefühl vermittelt. Wir stehen in dem kleinen Hof des Kinderheims, auf einer an der Außenmauer montierten Tafel steht groß: Welcome to Lena-Sister and Mona-Sister. Fast schon ein wenig sentimental begleiten wir die Kinder in den ersten Raum. Hier wird nicht nur gegessen, sondern auch gelernt, gespielt, gemalt, gebastelt und geschlafen.
|
Nithya und Sudha, zwei unserer Mädchen
|
Steckbriefe der 30 Kinder, die jetzt gespannt vor uns sitzen, hängen an den Wänden, sie sind vor allem eins: bunt, so wie eigentlich alles in Indien. Die Stühle, die sie uns hingestellt haben, lehnen wir dankend ab und setzen uns ebenfalls auf den Boden, um alles aus dem gleichen Blickwinkel betrachten zu können. Nach einer Vorstellungsrunde verteilen wir ein paar Geschenke. Es ist ein Dienstagabend voll bunter Tütchen Ahoibrause – manchen scheint es zu schmecken, manchen nicht aber das versuchen sie sich nicht anmerken zu lassen und wir hören aus allen Ecken ein fröhliches „Thank you sister!“.
Eine Woche vergeht, wir fühlen uns wohl, haben uns sehr schnell daran gewöhnt das Abhaya unser zu Hause zu nennen. Bis zum 1. Oktober ist Eingewöhnungsphase, einen geregelten Tagesablauf haben wir noch nicht. Morgens stehen wir auf, meistens zwischen 9 und 10, frühstücken gemütlich Toast, denn normales Brot gibt es hier nicht, mit Butter, Scheiblettenkäse und sage und schreibe Nutella – alles was wir in einem westlich orientierten Supermarkt einigermaßen heimisches finden konnten. An das indische Frühstück trauen wir uns noch nicht so ganz ran, es ist warm und vor allem scharf, Reis mit Soße. Lena probiert kurz, Reis mit Spinat, vielleicht nicht ganz so anders, wie der Rest des Essens doch selbst der Spinat hat eine Schärfe, die erst nach ein bis zwei Minuten im Mund verklingt.
|
Patti :)
|
Wir trinken Tee mit viel Milch und Zucker, Chai nennt er sich, und wird von unserer Köchin zubereitet, 2 bis 3 mal am Tag in einem 0,2 ml Becher. Wir mögen es und sie freut sich, eine alte Frau mit faltigem Gesicht und einem Dutt aus braunen und weißen Haaren auf dem Kopf. Sie lächelt nicht sehr oft, aber wenn doch, dann ist es immer wieder etwas Besonderes. Englisch spricht sie kaum, oft hört man sie mit leicht schriller Stimme rufen „TEAAA?“. Wir verständigen uns mit Händen und Füßen, lächeln viel, versuchen uns mit ein paar Brocken Tamil und nennen sie Patti, was Oma heißt. Mittags dürfen wir kochen, meist Nudeln mit Soße. Gemeinsam mit einigen der Staff Members, den Mitarbeitern des NMCT's, essen wir an einem Tisch im Nebengebäude, über uns ein Dach aus Holzbalken und Blättern.
|
Viji, unsere liebe Mentorin :)
|
Jeder bringt eine Kleinigkeit mit und man darf alles probieren. Es ist die Gastfreundschaft und die hohe Bereitschaft zu teilen, die uns auffällt und beeindruckt. Wir bieten unser Essen an, manche probieren, andere trauen sich nicht. Einen Salat aus Gurken, Tomaten und Karotten nennt Viji, unsere Mentorin und Erzieherin des Heims, Fruchtsalat, er ist zu süß, zu ungewürzt. Ob es Ihnen schmeckt, bezweifeln wir, Inder essen kein rohes Gemüse. Man warnt uns vor, dass wenn wir zurück sind alles sehr langweilig schmecken wird. Die Atmosphäre ist schön, man redet über viele Themen, ein Mix aus Tamil und Englisch, wir erzählen aus Deutschland, es wird gelacht als wir den indischen Verkehr anzweifeln und sagen, dass wir das Essen scharf finden.
|
Waschen |
|
Waschen, die Zweite
|
Dann haben wir Freizeit, an manchen Tagen probieren wir uns im Waschen, wohlgemerkt mit der Hand. Mit drei Eimern und einer Tube Rei machen wir uns an die Arbeit. Einweichen, mit Waschseife beschmieren, auf dem Waschstein ausdrücken (oder Handtücher auch wahlweise auf den Waschstein draufschlagen :D), in klares Wasser tunken und auswringen und wieder von vorne. Wir stehen barfuß im Wasser, es ist anstrengend bei 35° C aber wir brauchen zum Glück nur eine Dreiviertelstunde. Dann ein Versuch das Zimmer zu putzen, ein indischer Besen aus einer Art Zweigen lehnt an der Wand, als wir ihn benutzen verfehlt er seinen Zweck und macht mehr Dreck als dass er sauber macht. Wie die Inder das hinbekommen ist uns ein Rätsel, aber wir können darüber lachen.
Dreimal waren wir bereits in der Stadt aber man muss sagen, Coimbatore ist nicht vergleichbar mit einer europäischen Großstadt. Anhaltspunkte, an denen man sich orientieren kann, sind schwer zu finden und das Stadtleben zu skizzieren ist eine kleine Herausforderung. Es scheint nicht in verschiedene Viertel aufgeteilt zu sein, wie es uns bekannt ist, sondern die ganze Stadt ist eine ganze Zone, die alle Gesellschaftsschichten in sich zu vereinen scheint. So fahren wir vorbei an kleineren Hochhäusern, häufig bunt und mit Flachdach, moderne Gebäude reihen sich auf neben verfallenen Bauten, zwischendrin die Slums, kleine Hütten mit Blechdach, gekocht wird draußen, es sind Wäscheleinen zwischen den Hütten gespannt. Hausfassaden sind mit Werbung jeglicher Art behängt, in Tamil und in Englisch, alte kaputte Hütten tragen die große Aufschrift vodafone, große Plakate zieren das Stadtbild, darauf zu sehen sind Menschen mit heller Hautfarbe, die Jeans tragen. Werbung für Hautbleichungsmittel. Der Westen ist präsent. Viele Häuser sind offen, garagenartig, man kann hineinschauen und beobachten. Man sieht Menschen, die an der Nähmaschine sitzen, andere, die waschen, andere, die verkaufen. Was genau jeder verkauft, wissen wir nicht, das lässt sich nicht immer genau identifizieren. Dann Götterfiguren, kleine hinduistische Tempelanlagen und Andachtsstätten, Brahma, Shiva, Vishnu und wie sie alle heißen mögen, lächeln uns alle zwei Meter stumm an.
|
Kabelsalat |
Die Hauptstraßen sind geteert und trotzdem voller Hubbel und Schlaglöcher, manchmal taucht eine Ampel mit einem 30 s – Zähler auf, der aber auch nicht immer beachtet wird, Straßenschilder gibt es kaum und auch Bürgersteige sieht man selten. Stattdessen geht die Straße in Sand über, auf dem sich Straßenstände aufreihen, Blumen, Früchte, Gemüse, warmes Essen, man scheint hier alles zu bekommen aber sollte besser nicht alles probieren. Männer schneiden Bananenblätter zurecht, man sieht Hühner in engen Käfigen, bewegen können sie sich nicht, daneben hängen geschlachtete Hühner an einer Leine. Stromleitungen sind ausschließlich überirdisch und die Konstruktionen sind teilweise sehr bedenklich. Dazwischen Palmen, eingebaut in die lebhafte Stadt. Und noch etwas fällt auf: Müllberge, überall. Es sind Massen an Müll, die am Straßenrand liegen, Müllcontainer sind eine Seltenheit. Den Gestank von brennendem Plastik hat man häufig in der Nase, das ist wohl die gängige Müllentsorgung. Es ist staubig, chaotisch, laut.
|
Traffic
|
Und auf irgendeine Art und Weise faszinierend. Der Verkehr scheint keinen Regeln zu unterliegen, es herrscht Linksverkehr. Das Klischee bestätigt sich, Kühe sind fast an jeder Straßenecke zu sehen, dann noch Hunde und Ziegen. Man sieht Fahrräder, Rikshas, Mofas (die hier ein typisches Familiengefährt zu sein scheinen, 4 Personen auf einem Mofa sind ganz natürlich), Ochsenkarren, riesige Lastwagen (die häufig die seltsamsten Dinge geladen haben und kaum gesichert sind – wir haben bereits einen Lastwagen gesehen, der unbefestigte Gasflaschen geladen hatte, auf die dauerhaft die Sonne geknallt hat) und überfüllte verfallene Busse – mit denen wir fahren. Türen gibt es keine, genauso wie Blinker. Biegt man ab, zeigt das der Busfahrer mit der Hand ab und es gibt häufig noch einen Busjungen/-mann, der diese Aufgabe ebenfalls übernimmt. Frauen sitzen vorne, Männer hinten, es ist voll und wir werden angestarrt.
|
Stadtimpression
|
Aber wir sind abgelenkt vom Verkehr, der für uns ein Rätsel ist und wahrscheinlich auch bleiben wird. Der Motor lärmt, es wird am laufenden Band gehupt. Warum weiß man nicht, vor dem Überholen, während dem Überholen, nach dem Überholen, vor dem Abbiegen, einfach so um zu zeigen, dass man da ist und eine Hupe besitzt, aus Spaß, aus Langeweile, aus Frust, aus Ärger, um anzudeuten, dass man jetzt losfährt oder das man die nicht vorhandene Spur wechselt, um jemanden zu verscheuchen, der zu langsam ist – wir spekulieren noch :D. Zweispurige Straßen werden oft zu vierspurigen gemacht, wir sind häufig an der Grenze gleich einen Unfall zu bauen, im letzten Moment wird ausgewichen. Unser Busfahrer fährt barfuß, neben dem Schaltknüppel ist ein kleines Loch im Boden, durch das manchmal Abgase in den Bus ziehen. Einen Fahrplan gibt es nicht, man weiß nie wie lang man wartet. Stress oder Ungeduld scheint man hier nicht zu kennen. Also bemühen wir uns, das auch hinter uns zu lassen. Eine uns völlig fremde Frau stellt Mona im Bus ihre Tasche auf die Beine, wir schauen uns an und sind verwirrt, müssen lachen, wie so oft in Indien. Es ist ein Überfluss an Eindrücken.
|
im Herzen von Coimbatore
|
In der Stadt laufen wir in eine kleinere Gasse, an der Seite reihen sich Männer auf, die an Nähmaschinen Kleider ausbessern. Viele kleine Läden, natürlich offen und ohne Türen, man ruft nach uns „madam, sister, come here“, es wird gelockt, wir versuchen es zu ignorieren und laufen weiter. Viji führt uns in einen Laden, wären wir alleine gewesen, hätten wir ihn niemals betreten. Über eine kleine enge Treppe kommen wir in einen Raum, in dem die Regale bis zur Decke vollgestopft sind mit Kleidern. Wir kaufen Chudidas, indische Oberteile, die über den Knien aufhören und in allen erdenklichen Farben und Mustern erhältlich sind. Kitschige Bordüren, häufig in Gold sind keine Seltenheit. In Deutschland völlig abwegig so etwas zu tragen, in Indien ganz normal. Und wir mögen es. Es macht Spaß, mal in eine andere Rolle zu schlüpfen. Aber warm ist es und wir müssen uns wohl oder übel daran gewöhnen. Man trägt lange Stoffhosen, alternativ auch Leggins, und längere Oberteile, die die Schultern bedecken sollen, dazu einen Schal. Pflicht ist es nicht, aber erwünscht von unserer Organisation und mittlerweile auch von uns, um fragwürdige Blicke zu vermeiden. Anpassung ist unser neuer Alltag und öffnet viele Türen. Ohrringe haben wir auch schon gekauft, groß, gold, glitzernd, auffällig, indisch.
Wieder auf der größeren Straße angelangt, machen wir uns auf den Weg in ein Restaurant, an uns vorbei laufen massenweise Menschen.
|
ordentlich bepackt
|
Ein Mann trägt ein beachtlich großes Paket auf seinem Rücken, ein kleines Mädchen starrt uns ungläubig an, wir winken aber es guckt nur verblüfft. Weiße sind hier nicht Gang und Gebe, Coimbatore ist keine Touristenstadt. Im Restaurant essen wir Nudeln, die uns an ein chinesisches Restaurant in Deutschland erinnern und wir werden fast ein bisschen sentimental.
|
Grape Juice
|
An einem anderen Tag nehmen uns der Director NMCT's und seine Frau Seetha, unsere Co-Mentorin und neben Viji unsere Ansprechpartnerin, mit auf eine kleine Kokosnussfarm, eine Außenstelle NMCTs. Zu siebt sitzen wir im Auto, mit dabei noch Seethas Onkel und zwei unserer Mädchen, die ihre Familien in einer Tribal-village für ein paar Stunden besuchen. Um dorthin zu gelangen, müssen wir über die Berge Coimbatores. Am Fuß des Berges halten wir an, ein kleiner Tempel, der die Größe eines Kiosks hat. Unser Director gibt eine Kokosnuss ab, Kerzen werden angezündet, Weihrauch oder etwas ähnliches durchströmt die Luft, der Mann im Tempel läuft einmal mit der Flüssigkeit in einer Schale um unser Auto herum. Es ist ein Mann mittleren Alters, roter Punkt auf der Stirn, barfuß, mit einem Rock bekleidet, über den ein beachtlicher Bauch ragt. Jeder von uns bekommt ebenfalls einen Punkt auf die Stirn gedrückt. Abschließend nimmt er die Kokosnuss und schmettert sie vor dem Auto auf die Straße. Wir sind gesegnet und dürfen nun den Berg überqueren. Befremdet und uns das Lachen verkneifend schauen wir uns an.
|
Coconut!
|
Auf der Kokosnussfarm probieren wir Früchte, die wir vorher noch nie gesehen haben, können den Geschmack nicht einordnen, laufen durch ein kleines Feld, Ameisen zerbeißen uns die Füße aber das ist in dem Moment eher Nebensache. Man pflückt extra für uns Kokosnüsse, ein alter Mann hackt sie mit einer Machete auf. Frischer Kokosnusssaft und glibbriges weißes Kokosnussfleisch. Nach vier Kokosnüssen lehnen wir dankend ab, da ist sie wieder, die Gastfreundlichkeit der Inder.
|
Erlebnisfahrt durch den Fluss
|
Ganz bekokosnusst machen wir uns auf den Weg zu dem Dorf, in dem unsere beiden Mädchen früher wohnten. Der Rückweg ist faszinierend, mit dem Auto überqueren wir einen kleinen Fluss, haben jeden Moment das Gefühl wir setzen auf einen Stein auf, ein paar Mal kratzt es unter uns bedenklich, das Wasser plätschert fröhlich vor sich hin aber wir schaffen es.
Sind wir nicht unterwegs, kommen zwischen vier und fünf die Mädchen aus der Schule.
|
wir spielen Diddl auf dem Kaktus
|
Eine Stunde Freizeit haben sie, danach ist Studytime. Das indische Schulsystem fordert. Heute haben die Exams angefangen, das bedeutet, dass die Mädchen noch mehr lernen als sonst. Eine Woche haben sie jeden Tag eine Klausur. Ein Mädchen erklärt uns, sie freut sich darauf, denn nach dieser Woche sei es endlich vorbei. Irgendwie eine schöne Einstellung, die sie dem Leistungsdruck entgegen bringt. Wir helfen bei Hausaufgaben in Mathe und Englisch, bekommen selbst von den Kindern eine „Tamil-class“, die Landessprache im Bundesstaat Tamil Nadu, und üben uns im Schreiben dieser doch so fremden Sprache. In der freien Zeit spielen wir mit den Kindern, Diddl auf dem Kaktus und Moorhuhn Mau Mau sind die neuen Lieblingsspiele, die wir aus Deutschland importiert haben. Heimat verbindet sich mit Fremdem. Nicht immer versteht man sich, aber über die Grenze zwischen den zwei Kulturen lächeln wir hinweg. Spaß miteinander zu haben, funktioniert auch ohne sprachliche Verständigung.
|
Cycling Class mit den Mädels
|
Ansonsten geben wir fast jeden Abend eine „cycling class“ (es gibt für alles eine class), damit alle Kinder Fahrrad fahren lernen. Wir laufen durch das kleine Dorf, in dem wir außerhalb von Coimbatore leben, um zu dem Sandplatz zu gelangen, auf dem wir fahren können. Nachbarn jeden Alters beobachten uns, neugierig, fragend. Wir grüßen, sie nicken uns zu, freuen sich, lächeln, Nachbarskinder laufen uns hinterher. Es ist schön zu sehen, wie die Kinder sich beim Fahrrad fahren gegenseitig helfen. Ausgeschlossen wird keiner.
Die Mädchen vermitteln vor allem eins: pure Lebensfreude. Sie sind liebenswürdig, hilfsbereit, fröhlich, freudig-aufgeregt, wenn sie uns Geschichten erzählen und unheimlich, gespannt, wenn sie uns zuhören, lebensfroh und unglaublich schnell im lernen. Es ist schwer, die schwierigen Verhältnisse aus denen diese Kinder stammen zu begreifen, wenn sie einen tagtäglich mit leuchtenden Augen anlächeln. Die Fröhlichkeit, die sie ausstrahlen und das Traurige, was doch ein Teil von Ihnen ist, erscheint uns paradox. Wir versuchen zu begreifen.
|
Drawing Class
|
Nach unserer Eingewöhnungsphase werden wir noch Englischunterricht geben, am Wochenende sind zusätzlich zwei Stunden für „skill-building“ bestimmt beispielsweise Malen.
Dunkel wird es hier bereits gegen halb sieben, Abendessen gibt es zwei Stunden später. Reis mit Sambar, Chutney oder Soßen aus Hülsenfrüchten. Vegetarisch. Während ich mich manchmal nach einem guten deutschen Schnitzel sehne, bleibt Mona noch tapfer. Vor dem Essen wird ein kurzes Gebet auf Tamil gesprochen und danach „piep piep piep, wir haben uns alle lieb“ gesungen und lauthals Guten Appetit gewünscht – eine Errungenschaft der vorherigen Freiwilligen, die hier ebenfalls 7 Monate verbrachten. Gegessen wird auf dem Boden und mit der Hand, wohlgemerkt nur mit der rechten, und wir üben fleißig uns nicht jedes Mal einzusauen. Die Art zu trinken ist für uns ebenfalls noch sehr fremd, der Durchschnittsinder kippt sich innerhalb von 1,5 s einen ganzen Becher Wasser in den Mund ohne dabei die Lippen anzusetzen. Auch hier scheint Übung den Meister zu machen.
Bis zehn ist noch Zeit zum Spielen oder Lernen, dann heißt es malai wanakkam (oder so ähnlich) für unseren kleinen schwarz-weißen Hund Pauli und unsere 30 kleinen Sisters. Manche schlafen in Betten, andere auf Matten auf dem Boden. Doch zufrieden scheinen sie alle zu sein.
Die ersten zwei Wochen Indien waren voller Reizüberflutungen aller 5 Sinne und noch darüber hinaus. Farben, Gerüche, Geschmäcker, es ist anders, beeindruckend, faszinierend, interessant und doch so unbekannt. Altes vermischt sich mit Neuem. Fremd und gleichzeitig willkommen sein. Sich anpassen und doch sich selbst treu bleiben. Aufnehmen ist die Devise – Eindrücke, Wahrnehmungen, Empfindungen.
Alles auf sich wirken lassen. Viele Menschen laden uns ein zum Abendessen, zum Lunch, zum Kaffee, Neugierde prägt beide Seiten. Beobachten, integrieren, lernen. Strukturen entscheiden hier, Hierarchie prägt den Alltag und mittendrin sind wir, gliedern uns ein, versuchen ein Teil des Ganzen zu sein. Hinterfragen. Abends liegen wir lange wach, um all das zu verarbeiten und es fällt uns schwer, es in Worte zu fassen. Fotos können immer nur einen Bruchteil zeigen und Texte nur einen Eindruck vermitteln. Jeden Tag gibt es etwas Neues zu entdecken. Wir hoffen, dass wir euch ein bisschen daran teilhaben lassen konnten.
Bis bald ihr Lieben, Lena und Mona.